Warnung der Nationalbank

Die Schweizerische Nationalbank sagt, wo am Immobilienmarkt die grösste Gefahr lauert.

Immobilie
Immobilien: Einige machen der Nationalbank mehr Sorgen als andere.

Martin Schlegel wird neuer Präsident der Schweizerischen Nationalbank (SNB). Im September übernimmt er von Thomas Jordan und muss in diesem Amt auch über den Immobilienmarkt wachen. Vor dessen Risiken für den Finanzplatz warnt die SNB zwar seit Jahren, doch bisher ist es erstaunlich ruhig geblieben, auch nach der Zinswende.

Für eine Entwarnung sei es aber «viel zu früh», sagte Schlegel kürzlich an einer Medienkonferenz, und im Stabilitätsbericht nennt die SNB den Bereich, in dem die Risiken am grössten sind. Konkret: Wo die Preise am stärksten sinken könnten und wo die Wahrscheinlichkeit eines solchen Einbruchs am grössten ist.

Der Bericht nennt mehrere Gründe dafür, dass diese Verwundbarkeit nicht dort am grössten ist, wo Einfamilienhäuser oder Wohnungen für den Eigenbedarf gekauft werden. Vielmehr ist dies auf dem Markt für Renditeobjekte der Fall, wo Unternehmen oder vermögende Privatpersonen in Wohnimmobilien investieren, um diese zu vermieten und damit eine Rendite zu erzielen.

Erstens würden die Preise dort am stärksten von jenem Preisniveau abweichen, das sich noch mit fundamentalen Trends erklären liesse. Damit ist etwa die Entwicklung der Einkommen gemeint oder der Bevölkerung. Die Abweichung von solchen Trends kann einen Hinweis darauf geben, wie stark die Preise fallen könnten, wenn der Boom auf dem Immobilienmarkt einmal zu Ende gehen sollte.

Zweitens sind, zugespitzt gesagt, Wohnimmobilien zurzeit ihr Geld nicht wert. Genauer gesagt sind die Renditen, welche die Investoren damit verdienen, heute im Vergleich zu risikofreien Staatsanleihen viel zu niedrig, deutlich niedriger, als sie es im historischen Durchschnitt waren.

Auf 100 investierte Franken erhalten die Investoren seit der Zinswende mit Staatsanleihen wieder etwa 1 Franken. Auf Immobilien sind es aktuell nur 2 Franken mehr. Dabei haben sie früher immerzu 3 Franken mehr verlangt, um sich auf das höhere Risiko einzulassen. Die Renditen sind also zu tief, die Risiken zu hoch bei den Wohnimmobilien.

Dieses Missverhältnis lässt sich nicht so leicht korrigieren – wenn doch, müssen entweder die Mieten zünftig nach oben oder die Preise nach unten. Wie die SNB schreibt, müssten die Mieten stark steigen – so stark, dass die Einnahmen, welche nach Abzug der Kosten übrig bleiben, um einen Drittel hochgehen. Das taxiert die SNB in ihrem Bericht als wenig wahrscheinlich.

Oder aber die Preise von Immobilien würden fallen und die Investoren so weniger Geld ausgeben müssen für die gleichen Mieteinnahmen. Dafür wäre jedoch eine ziemlich happige Preisreduktion nötig – um 25 Prozent. Möglich wäre auch eine Mischung von beidem: höhere Mieten und sinkende Preise.

Entscheidende Bedeutung für die Finanzstabilität

Zum Teil hat es vielleicht bereits eine Korrektur gegeben und die Preise sind gesunken, oder zumindest gibt es dafür laut SNB einige Evidenz. So zeigen die Zahlen des Datenanbieters FPRE, dass die Preise für Mehrfamilienhäuser landesweit heute elf Prozent tiefer liegen als vor zwei Jahren.

Drittens kommt es bei Renditewohnimmobilien häufiger vor als bei selbst genutztem Wohneigentum, dass Schulden oder Zinsen nicht vollständig zurückbezahlt werden. Die SNB schreibt: «Die Erfahrung zeigt, dass solche Investoren in einem Abschwung bei den Banken schneller und grössere Verluste verursachen als private Haushalte.»

Denn Privatpersonen, die bei der Bank eine Hypothek haben, haften mit ihrem gesamten Vermögen. Kommerzielle Investoren haften hingegen nur beschränkt. Wenn sie als Aktiengesellschaft aufgestellt sind, hat die Bank nur das Aktienkapital und die Immobilie als Garantie. Deshalb ist die Gefahr grösser, dass es zu Notverkäufen von Immobilien kommt.

In solch erzwungenen Verkäufen gehen die Immobilien meist unter ihrer früheren Bewertung weg, was die Preise anderer Immobilien unter Druck und eine Abwärtsspirale in Gang setzen kann. Wie es im SNB-Bericht heisst: «Dies kann zu einer Welle von Notverkäufen führen und potenzielle Preiskorrekturen verstärken.»

All dies müsste die SNB nicht gross kümmern, wenn dieser Markt klein und träge wäre. Doch das ist er keineswegs, wie der Internationale Währungsfonds (IWF) in seinem Länderbericht zur Schweiz aufzeigt. Er wächst seit Jahren schnell und erreicht mit seiner Grösse einen internationalen Spitzenwert.

Der IWF schaut in seiner Analyse nicht nur auf Wohnungen, sondern zählt Büros und Läden hinzu. Dieser Markt ist seit 2010 um 87 Prozent grösser geworden – stärker wuchs er sonst nur in den USA, sonst in keinem anderen grossen Industrieland der Welt. Sein Anteil an der Wirtschaft beträgt rund 40 Prozent, das ist nach Schweden der zweithöchste Wert unter den Industrieländern.

Somit habe dieser gesamte Markt in der Schweiz «eine erhebliche gesamtwirtschaftliche Relevanz und Bedeutung für die Finanzstabilität». Anders gesagt: Wenn es hier mal knallt, dann scheppert es im gesamten Bankensektor und der ganzen Schweiz.

Doch wären laut SNB nicht alle Banken gleich betroffen, sondern vor allem die so genannten inlandorientierten Banken. Dazu zählen 87 Banken, darunter Grössen wie Raiffeisen Gruppe oder Zürcher Kantonalbank, bei denen Hypotheken durchschnittlich 90 Prozent aller Kredite ausmachen. Das Verleihen von Hypotheken ist somit heute eine ihrer Hauptaufgaben, wie es dies in den letzten Jahrzehnten auch international geworden ist, in einem Trend, den Ökonomen die «Grosse Hypothekarisierung» nennen.

Deshalb schreibt die SNB in ihrem Stabilitätsbericht, das grösste Risiko für diese inlandorientierten Banken sei ein Doppelschlag aus stark steigenden Zinsen und fallenden Immobilienpreisen. In Stresstests hat sie nachzurechnen versucht, wie sich dieser Doppelschlag auswirken würde. Die Banken würden beträchtliche Verluste auf ihre Kredite erleiden; mehr Zins auf ihre Schulden zahlen, als sie mit verliehenem Geld einnehmen; und viel von ihrem Eigenkapital verlieren. Die «meisten Banken» seien in der Lage, die entstehenden Verluste aufzufangen – aber demnach nicht alle. Welche oder wie viele es sind, sagt die SNB nicht.

Wenige kriselnde Banken würden wohl schon reichen, um den Finanzsektor zu erschüttern und die SNB zu einem schnellen Eingreifen zu zwingen. Es gälte auch ein typisches Problem von Immobilienkrisen zu bekämpfen: Die Banken werden vorsichtiger mit der Kreditvergabe und schwächen so das Wirtschaftswachstum auf Jahre hinaus.

Wie schlimm das dann tatsächlich werden würde, wird man erst wissen, wenn es wirklich einmal knallt. Das aktuelle Zinshoch hat dafür wohl nicht ausgereicht, auch wenn die SNB warnt, es sei noch nicht ausgestanden. «Das derzeitige hohe Zinsniveau könnte zu weiteren negativen Entwicklungen auf dem Immobilienmarkt führen, da die Auswirkungen von Zinserhöhungen historisch gesehen mit erheblicher Zeitverzögerung eintreten können.»

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