Unsere strahlende biotechnologische Zukunft

Die Auffassung, dass nach dem Jahrhundert der Physik nun mit dem einundzwanzigsten Jahrhundert die Ära der Biologie angebrochen sei, ist mittlerweile gängig und unbestritten.

Die Auffassung, dass nach dem Jahrhundert der Physik nun mit dem einundzwanzigsten Jahrhundert die Ära der Biologie angebrochen sei, ist mittlerweile gängig und unbestritten. Kaum jemand zieht in Zweifel, dass die Biologie – was den Umfang der Forschungsbudgets, die Zahl der Beschäftigten oder den Output bedeutender Entdeckungen angeht – der Physik den Rang abgelaufen hat; und die Biologie wird durch das ganze einundzwanzigste Jahrhundert hindurch der wichtigste Wissenschaftszweig bleiben. Auch hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen Folgeerscheinungen, ihrer ethischen Implikationen und ihrer Auswirkung auf die Lebensqualität ist die Biologie mittlerweile wichtiger als die Physik.

Industrie-Zähmung

Diese Tatsache gibt Anlass zu einer interessanten Frage. Wird sich die Domestizierung der Hochtechnologie – deren Triumphzug wir anhand der Verbreitung von PC, GPS-Systemen und digitalen Kameras mitverfolgen konnten – bald auch auf das Gebiet der Biotechnologie ausdehnen? Ich glaube, dass wir diese Frage bejahen können; ich leiste mir sogar eine konkrete Voraussage. Ich behaupte, dass die Domestizierung der Biotechnologie in den kommenden fünfzig Jahren unser Leben mindestens so sehr dominieren wird wie in den letzten fünfzig Jahren die Domestizierung des Computers. – Ich sehe eine direkte Analogie zwischen John von Neumanns Fehleinschätzung, dass Computer grosse, zentralisierte Anlagen sein und bleiben müssten, und der heutigen Auffassung, dass die Gentechnologie Sache pharmazeutischer und agrochemischer Konzerne wie Monsanto sei. Die Öffentlichkeit misstraut Monsanto, weil Monsanto gerne Saatgut mit Genmaterial für giftige Pestizide spickt – genauso, wie wir einst von Neumann misstrauten, weil er seinen Computer gern dazu verwendete, zu mitternächtlicher Stunde heimlich Wasserstoffbomben zu entwerfen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Gentechnologie unpopulär bleiben wird, solange der Umgang damit ein Monopol der Grosskonzerne ist.

Einer strahlenden Zukunft dürfte die biotechnologische Industrie jedoch entgegengehen, wenn sie denselben Weg einschlägt wie die Computerindustrie – den Weg, den Neumann nicht vorausgesehen hat: wenn sie klein und domestiziert wird statt gross und zentralisiert. Der erste Schritt in diese Richtung wurde unlängst bereits unternommen, als genetisch veränderte Tropenfische in neuen, strahlenden Farben in den Tierhandlungen auftauchten. Soll die Biotechnologie bei uns heimisch werden, dann muss sie vorab benutzerfreundlich sein. Denken wir nur schon an die Tausende, die sich – als Amateure oder Profis – mit der Zucht von Haustieren, Blumen und Nutzpflanzen beschäftigen: Wenn sie mit domestizierten Formen der Biotechnologie operieren könnten, dann hätten wir ein wahres Feuerwerk der Artendiversität zu erwarten statt der einförmigen Monokulturen, welche die bevorzugte Produktionsgrundlage der Grosskonzerne sind. Neue Arten und Gattungen werden entstehen und diejenigen ersetzen, welche durch Abholzung und Monokulturen vernichtet wurden. Genom-Design wird zu einer individuell gepflegten neuen Kunstform werden, so kreativ wie Malerei oder Bildhauerei.

Nur wenige dieser Kreationen werden Meisterwerke sein; aber viele werden ihren Schöpfern Freude bereiten und unsere Flora und Fauna bereichern. Der letzte Schritt in der Domestizierung der Biotechnologie wird die Entwicklung von Biotech-Spielen sein, die ähnlich wie Computerspiele aufgebaut sind, die aber nicht nur auf dem Bildschirm, sondern mit echtem Saatgut oder Eizellen gespielt werden. Dabei würden die Kinder eine unmittelbare Beziehung zu den Organismen entwickeln, die sie heranzüchten; Sieger würde dasjenige sein, das den stachligsten Kaktus oder den putzigsten Dinosaurier präsentiert. Diese Spiele brächten Unordnung und natürlich auch ein gewisses Mass an Risiko mit sich. Es würde genaue Regelungen brauchen, damit unsere Kinder nicht sich selbst und andere gefährden. Die Gefahren der Biotechnologie sind durchaus real und ernst zu nehmen.

Evolution mit und Ohne Darwin

Wenn unsere Zukunft tatsächlich im Zeichen der domestizierten Biotechnologie steht, dann stellen sich fünf Fragen. Erstens: Lässt sich dieser Prozess aufhalten? Zweitens: Wäre das überhaupt wünschenswert? Drittens: Wenn die vorgängigen Fragen mit Nein zu beantworten sind – welches sind die nötigen Grenzen, die dieser Entwicklung gesetzt werden müssen? Viertens: Wer ist befugt, diese Grenzen zu ziehen? Fünftens: Wie werden sie auf nationaler und internationaler Ebene durchgesetzt? Diese Fragen werde ich hier nicht beantworten; das wird Aufgabe unserer Kinder und unserer Enkel sein.

Carl Woese ist der weltweit führende Experte auf dem Gebiet der Klassifizierung und Analyse von Mikroben. Sein wichtigstes Anliegen ist die Überwindung der obsoleten und reduktionistischen Biologie, wie sie in den letzten hundert Jahren praktiziert wurde. Statt von der Annahme, dass sich biologische Prozesse durch das Studium von Genen und Molekülen verstehen lassen, hätte eine neue, synthetische Biologie von der Analyse von «emergenten» Organisationsmustern auszugehen. Neben diesem Hauptanliegen beschäftigt Woese eine weitere Frage: Wann begann die darwinistische Evolution, die auf den «Kampf ums Dasein» zwischen unterschiedlichen Spezies zurückgeht? Woese weist nach, dass dieser Prozess nicht gleichzeitig mit der Entstehung des Lebens einsetzte. Wenn wir die Genome von Frühformen der heute existierenden Spezies untersuchen, dann zeigt sich, dass häufig genetische Information von einer Entwicklungslinie zur anderen transferiert wurde. In jener Frühphase war der horizontale Gentransfer – das «Teilen» und Weitergeben von Genmaterial zwischen unterschiedlichen Spezies – vorherrschend; und er wird dominanter, je weiter man in der Zeit zurückgeht.

Das Leben bestand damals aus einer Gemeinschaft von unterschiedlichsten Zellen, die ihre genetische Information untereinander teilten, so dass ein nützlicher chemischer Trick oder katalytischer Prozess, den ein Wesen herausgefunden hatte, auch von allen anderen geerbt werden konnte. Evolution war damit eine Sache der Gemeinschaft, die als Ganzes ihren Stoffwechsel und ihre reproduktiven Fähigkeiten weiterentwickelte, indem die Gene der effizientesten Zellen auch den anderen zur Verfügung standen. Die Evolution konnte rasch voranschreiten, da unterschiedlich geartete Zellen gleichzeitig und parallel neue chemische Prozesse und Anpassungsformen entwickeln und dieses «Wissen» dann durch horizontalen Gentransfer wiederum in die anderen Zellen einspeisen konnten.

Eines unschönen Tages aber realisierte eine Zelle, die sich ungefähr auf dem Entwicklungsstand einer primitiven Bakterie befand, dass sie ihren Nachbarn in Sachen Effizienz einen Schritt voraus war. Diese Zelle, eine Art drei Milliarden Jahre alter Vorläufer von Bill Gates, trennte sich von der Gemeinschaft und weigerte sich, ihr Erbgut zu teilen. Ihre Nachkommen wurden die erste Bakterienspezies – und die erste Spezies überhaupt –, die ihr geistiges Eigentum ausschliesslich für den Eigengebrauch reservierte. Dank ihrer überlegenen Effizienz prosperierten die Bakterien und entwickelten sich unabhängig weiter, während der Rest der Ursuppe weiterhin in trauter Gemeinschaft verharrte. Einige Millionen Jahre später sonderte sich eine weitere Zelle ab und wurde zum Stammvater der sogenannten Archaea. Und irgendwann setzte sich auch der Urahn der Eukaryoten ab, des dritten Hauptastes im Lebensbaum. So ging es weiter, bis von der ursprünglichen Gemeinschaft nichts mehr zu finden war und das gesamte Leben sich in Spezies aufgeteilt hatte. Die Epoche Darwins war angebrochen.

Sie hat vermutlich den Prozess der Evolution beträchtlich verlangsamt: In den wenigen hundert Millionen Jahren der prädarwinistischen Zeit entwickelten sich die biochemischen Grundlagen des Lebens sehr schnell, in den zwei folgenden Jahrmilliarden zeigten sich im Evolutionsprozess der Mikroben nur geringe Veränderungen. Die darwinistische Evolution verläuft langsam, weil die einzelnen Spezies, wenn sie sich einmal herausgeformt haben, sich nur wenig entwickeln. Mit wenigen Ausnahmen erfordert die darwinistische Evolution das Aussterben bestehender Arten, damit sich eine neue Spezies an ihrer Stelle etablieren kann.

Das Leben als Strudel

Nun, nach drei Milliarden Jahren, ist auch die darwinistische Epoche abgeschlossen. Sie war ein Zwischenspiel zwischen zwei Epochen des horizontalen Gentransfers. Die Zeit der Evolution im Geiste Darwins, die auf Kampf und Wettbewerb zwischen den Spezies beruhte, endete vor ungefähr zehntausend Jahren, als eine einzige Spezies, der Homo sapiens, die Biosphäre zu dominieren und zu reorganisieren begann. Seither ist nicht mehr die biologische, sondern die kulturelle Evolution die treibende Kraft von Entwicklung und Veränderung. Und die kulturelle Evolution ist nicht darwinistisch. Kulturen breiten sich ungleich mehr durch den horizontalen Transfer von Ideen als durch genetische Vererbung aus.

Die Prozesse der kulturellen Evolution sind tausendmal schneller als die der darwinistischen, und sie haben uns in eine neue Ära der kulturellen Interdependenz getragen, die wir Globalisierung nennen. Und nun, da der Homo sapiens die neue Biotechnologie domestiziert, aufersteht auch die alte prädarwinistische Praxis des horizontalen Gentransfers; fast mühelos wird Genmaterial von Mikroben auf Pflanzen und Tiere übertragen, und die Grenzen zwischen den Spezies verschwimmen dabei. Wir bewegen uns einem Zeitalter entgegen, in dem wir nicht mehr nur technisches Know-how und Software austauschen, sondern auch Genmaterial. Dann wird die Entwicklung des Lebens wieder gemeinschaftlich vor sich gehen, wie in der guten alten Zeit, bevor sich die unterschiedlichen Arten entwickelten und das geistige Eigentum erfunden wurde.

Schwarze Pflanzen

Ich möchte Carl Woeses Vision für die Zukunft der Biologie aufgreifen und sie auf die gesamte Wissenschaft ausdehnen:

Stellen Sie sich ein Kind vor, das in einem Bach im Wald spielt. Es hält seinen Stecken in einen Strudel im fliessenden Wasser, und der Strudel löst sich auf – um sich gleich wieder neu zu formieren. Das Kind versucht ihn wieder aufzubrechen, er formt sich erneut, und so kann das faszinierende Spiel endlos weitergehen. Da haben Sie es! Organismen sind widerstandsfähige Muster in einem ständig bewegten Fluss – Muster in einem Energiestrom … Es wird immer offensichtlicher, dass wir, um lebende Systeme wirklich zu verstehen, diese nicht mehr materialistisch, als Maschinen, betrachten dürfen, sondern sie als stabile, komplexe, dynamische Organisationen wahrnehmen müssen.

Diese Sichtweise, die Lebewesen nicht als Ansammlung von Molekülen, sondern als Organisationsmuster wahrnimmt, trifft nicht nur auf Bienen und Bakterien, Schmetterlinge und Regenwälder zu, sondern auch auf Sanddünen und Schneeflocken, Gewitterstürme und Hurrikane. Das unbelebte Universum ist so vielfältig und dynamisch wie das belebte, und es wird ebenfalls von Organisationsmustern beherrscht, die wir noch nicht verstehen. Die reduktionistische Physik und die reduktionistische Molekularbiologie des zwanzigsten Jahrhunderts werden auch in Zukunft bestehen, aber sie werden nicht mehr die Hauptrolle spielen. Die grossen Probleme – die Evolution des Universums als Ganzes, der Ursprung des Lebens, die Natur des menschlichen Bewusstseins und die Entwicklung des Erdklimas – können nicht verstanden werden, wenn man sie auf Elementarteilchen und Moleküle reduziert. Neue Denkformen und neue Methoden zur Organisierung grosser Datenbanken werden nötig sein.

Die Einbürgerung der Biotechnologie ins Alltagsleben könnte auch zur Lösung ökonomischer und ökologischer Probleme beitragen – beispielsweise indem sie uns Zugang zu reichlich vorhandener und billiger Sonnenenergie verschafft.

Eine Pflanze braucht Sonnenenergie, um Wasser, Kohlendioxid und andere einfache chemische Stoffe in Wurzeln, Blätter und Blüten zu verwanden. Sie braucht Sonnenenergie, um zu leben, aber sie nutzt diese mit geringer Effizienz. Die effizientesten Nutzpflanzen, etwa Zuckerrohr oder Mais, konvertieren nur gerade ein Prozent des Sonnenlichts, das auf sie fällt, in chemische Energie. Künstliche Sonnenkollektoren aus Silikon sind schon wesentlich leistungsfähiger; sie verwandeln fünfzehn Prozent des absorbierten Sonnenlichts in elektrische Energie, die wiederum mit wenig Aufwand in chemische Energie umgewandelt werden kann. Wir könnten uns vorstellen, dass in der Zukunft mit Hilfe der Gentechnologie Pflanzen mit Blättern aus Silikon entwickelt werden, die das Sonnenlicht mit zehnmal mehr Effizienz als ein natürliches Blatt in chemische Energie verwandeln könnten. Diese künstlichen Nutzpflanzen würden die Produktionsflächen für Biomasse auf einen Zehntel ihres jetzigen Umfangs reduzieren; sie sähen aus wie natürliche Pflanzen, lediglich die Blätter wären schwarz statt grün. Die Frage ist meines Erachtens nur, wie lange wir brauchen werden, um Pflanzen mit Blättern aus Silikon zu entwickeln.

Wenn die Effizienz bei der Umwandlung von Sonnenlicht in der natürlichen Evolution der Pflanzen eine Rolle gespielt hätte, dann hätten alle Pflanzen schwarze Blätter. Aber offensichtlich überwogen andere Faktoren, darunter die Notwendigkeit, die Pflanze vor übermässiger Hitze zu schützen. Für Pflanzen in heissen Klimazonen ist es ein Vorteil, wenn sie von der Wärme, die für das Wachstum nicht benötigt wird, so viel wie möglich abstrahlen können; Sonnenschein ist reichlich vorhanden, und es ist nicht nötig, ihn maximal auszunützen. Die Pflanzen haben deshalb das Chlorophyll in ihren Blättern entwickelt, welches die verwertbaren blauen und roten Komponenten des Sonnenlichts absorbiert, während es das Grün reflektiert. Diese Strategie ist in tropischen Regionen sinnvoll, aber sie erklärt nicht, warum Pflanzen in kühleren Klimazonen mit weniger Sonnenlicht ebenfalls grün sein sollten. In Island etwa, wo das Sonnenlicht rar ist, wären schwarze Blätter ein evolutionärer Vorteil gewesen. Warum also hat es nie eine solche Entwicklung gegeben? Wir werden vielleicht niemals eine Antwort auf die Frage finden, warum die Natur nicht diesen Weg eingeschlagen hat, bevor wir ihn nicht selbst gegangen sind.

Sollte das dereinst geschehen und sollten wir Hektaren neuer Pflanzen mit schwarzen Blättern geschaffen haben, die das Sonnenlicht mit zehnfacher Effizienz nutzen, dann werden wir auch mit neuen Umweltproblemen konfrontiert sein. Wem soll es erlaubt sein, diese Pflanzen zu nutzen? Werden sie ein künstliches Zuchtprodukt bleiben oder die natürliche Ökologie infiltrieren und sie dauerhaft verändern? Was geschieht mit den Silikonabfällen, die haufenweise anfallen werden? Gelingt es uns, eine ganze Ökologie von Mikroben, Pilzen und Würmern zu generieren, die sich von Silikon ernähren, damit diese Zuchtpflanzen im Gleichgewicht mit der übrigen Natur bleiben und ihr Silikon rezykliert wird? Das einundzwanzigste Jahrhundert wird äusserst potente neue Gentechnologien entwickeln, mit denen wir unsere Land- und Forstwirtschaft manipulieren können; aber diese neuen Mittel bringen auch neue Fragen und Verantwortlichkeiten mit sich.

Überwindung der Armut

Die Armut in ländlichen Gebieten ist eines der grossen Übel der modernen Welt. Mangel an Arbeitsplätzen und wirtschaftlichen Perspektiven in den Dörfern treiben Millionen von Menschen in die ohnehin schon überfüllten Städte. Dort wiederum verursacht die Binnenmigration enorme soziale und ökologische Probleme. Die allmähliche Drift von Wohlstand und Bevölkerung in Richtung der Städte ist eines der grossen Themen in der Menschheitsgeschichte der letzten zehntausend Jahre. Die Verlagerung vom Dorf in die Stadt ist eng verknüpft mit dem Übergang von einer Technologie zur anderen, wobei ich die erstere «grün», die letztere «grau» nennen möchte. Grüne Technologie basiert auf Biologie, graue auf Physik und Chemie.

Grob gesagt war die grüne Technologie vor zehntausend Jahren die Grundlage der ersten Siedlungen; sie brachte die Domestizierung von Pflanzen und Tieren mit sich, die Erfindung von Agrikultur, die Zucht von Ziegen, Schafen, Pferden, Kühen und Schweinen, die Textilmanufaktur und die Herstellung von Wein und Käse. Aus der grauen Technologie begannen sich fünftausend Jahre später Städte und Imperien zu entwickeln; sie begann mit der Herstellung von Waffen und Werkzeug aus Bronze und Eisen, setzte sich fort in der Erfindung von Rad und Wagen, im Strassenbau und in der Entwicklung von Streitwagen und Schiffen, in der Manufaktur von Schwertern, Gewehren und Bomben. Die graue Technologie brachte aber auch stählerne Pflüge und Traktoren hervor, Erntemaschinen und Verarbeitungstechnologien, dank denen einerseits die Landwirtschaft effizienter wurde, anderseits ein beträchtlicher Teil des von ihr generierten Wohlstands vom Land in die städtischen Industrieregionen floss.

So lagen in der ersten Hälfte dieser zehntausend Jahre menschlicher Zivilisation Wohlstand und Macht dank der grünen Technologie bei den Dörfern, während in der zweiten Hälfte die graue Technologie der Städte dominierte. Dank der Entwicklung von Maschinen, die Wind- und Wasserkraft, Dampf und elektrische Energie zu nutzen vermochten, verschärfte sich diese Dominanz in den letzten fünfhundert Jahren fortlaufend, und im zwanzigsten Jahrhundert beschleunigte sich dieser Prozess nochmals. Während die Städte immer reicher wurden, verarmten die Landregionen. – Wenn die Armut der Landbevölkerung eine Konsequenz des überproportionalen Wachstums grauer Technologie ist, dann sollte es möglich sein, durch eine Gewichtsverlagerung zwischen grauer und grüner Technologie dieses Problem aus der Welt zu schaffen. Das wäre mein Traum. In den letzten fünfzig Jahren haben sich die wissenschaftlichen Erkenntnisse über die grundlegenden Prozesse des Lebens rasant entwickelt, und dieses neue Verständnis führte in den letzten zwei Dekaden zu einem explosiven Wachstum auf dem Gebiet der grünen Technologie. Diese erlaubt uns jetzt das Züchten neuer Pflanzen- und Tierarten – hundertmal schneller, als dies unseren Vorfahren vor zehntausend Jahren gelang. Statt eines Jahrtausends braucht es jetzt nur mehr eine Dekade, um neue Nutzpflanzen zu entwickeln, etwa die herbizidresistenten Varianten von Mais und Soja, dank denen der Boden für die Unkrautbekämpfung nicht mehr umgepflügt werden muss und die Bodenerosion durch Wind und Regen abnimmt. Dank einem Vorgehen, das nicht auf Versuch und Irrtum, sondern auf die genaue Kenntnis von Genen und Genomen abgestützt ist, können Pflanzen innert weniger Jahre so modifiziert werden, dass sie grössere Erträge und mehr Nährstoffe liefern und resistenter gegen Pflanzenseuchen und Schädlinge sind.

Billig und sauber

Da uns die Genomforschung immer klareren Einblick in die Architektur von Lebewesen verschafft, werden wir innert weniger Dekaden in der Lage sein, gemäss unseren Bedürfnissen neue Arten von Mikroben und Pflanzen zu entwickeln. Dann wird die grüne Technologie auf billigere und sauberere Weise vieles von dem leisten, was jetzt Aufgabe der grauen Technologie ist – und sie wird Dinge vollbringen, an denen die graue Technologie gescheitert ist. Die grüne Technologie könnte praktisch die gesamte chemische Industrie und einen beträchtlichen Teil des Bergbaus und der industriellen Produktion ersetzen. Genetisch veränderte Würmer könnten Metalle wie Aluminium und Titanium aus dem Lehm ziehen, genetisch veränderte Algen würden Gold und Magnesium aus dem Meerwasser absorbieren.

Dank grüner Technologie könnten auch Abfälle und ausgediente Maschinen in grossem Rahmen und auf umweltfreundliche Weise rezykliert werden. Eine auf grünen Technologien basierende Wirtschaft käme dem Ideal der Nachhaltigkeit wesentlich näher, indem Sonnenlicht statt fossiler Brennstoffe als wichtigste Energiequelle genutzt würde. Neue Termitenarten könnten gezüchtet werden, die ihren Appetit an schrottreifen Autos statt an Häusern stillen, und neue Baumsorten könnten Kohlendioxid und Sonnenlicht in flüssige Brennstoffe statt in Zellulose verwandeln.

Aber bevor uns diese genetisch modifizierten Termiten und Bäume bei der Lösung unserer ökonomischen und ökologischen Probleme helfen können, werden sich lautstarke Debatten darüber erheben, welche Schäden sie möglicherweise anrichten. Viele, die sich selbst als Grüne bezeichnen, sind leidenschaftliche Gegner der grünen Technologie. Wenn diese aber mit Sorgfalt entwickelt und mit Rücksicht gegenüber den Gefühlen der Menschen eingesetzt wird, dann dürfte sie über kurz oder lang mehrheitlich akzeptiert werden – genauso, wie vor langer Zeit ähnlich unnatürliche und unvertraute grüne Technologien zum Melken von Kühen, zum Pflügen des Bodens oder zur Fermentierung von Trauben Akzeptanz bei unseren Vorfahren fanden.

Ich behaupte nicht, dass diese Zustimmung sich rasch oder problemlos einstellen wird. Ich sage lediglich, dass grüne Technologie enorme Potenziale zur Aufrechterhaltung des natürlichen Gleichgewichts auf unserem Planeten wie auch zur Linderung menschlicher Not birgt. Künftige Generationen, die schon mit Biotech-Spielen und -Spielzeugen aufgewachsen sind, werden dies möglicherweise leichter akzeptieren als wir. Niemand kann voraussagen, wie lange es dauern wird, die neue Technologie in tausenderlei Arten auszuprobieren und dabei Kosten und Nutzen gegeneinander aufzurechnen.

Ein grosser Gleichmacher

In der Vergangenheit war grüne Technologie immer aufs Land beschränkt; sie kam in Dörfern und auf Bauernhöfen zur Anwendung und nicht in der Stadt. In der Zukunft wird sie in der Stadt ebenso gegenwärtig sein wie auf dem Land, in Fabriken ebenso sehr wie in den Wäldern. Sie wird nicht mehr gänzlich dem Land angehören, aber immer noch eine starke ländliche Komponente haben; schliesslich wurde das Schaf Dolly auch in einer ländlichen Zuchtstation in Schottland geklont und nicht in einem städtischen Labor in Silicon Valley. Die grüne Technologie wird als primäre Rohstoff- und Energiequellen Land und Sonnenlicht nutzen – und diese lassen sich nicht in Städten konzentrieren, sondern sind mehr oder weniger gleichmässig über den Planeten verteilt. Wenn Land und Sonnenlicht die Grundlage für Industrie und Technologie darstellen, dann wird auch die Landbevölkerung zu Arbeit und Wohlstand kommen.

Es ist ein glücklicher Umstand, dass die Sonne die tropischen Länder begünstigt, wo ein Grossteil der Erdbevölkerung lebt und wo das Problem der ländlichen Armut am akutesten ist. Da Sonnenlicht gleichmässiger verteilt ist als Kohle oder Öl, könnte die grüne Technologie ein grosser Gleichmacher sein, der die Kluft zwischen armen und reichen Ländern überbrücken hilft.

Wissenschaft und Phantasie

ujw. Godfrey Harold Hardy war ein eminenter englischer Mathematiker, der die «Reinheit» – das Selbstzweckhafte – seiner Disziplin gegen deren Nutzanwendung verteidigte. Freeman J. Dyson, Jahrgang 1923, war in Cambridge während des Zweiten Weltkriegs Hardys Schüler. Ein sarkastischer Satz, den er in des Meisters berühmtem Essay «A Mathematician’s Apology» (1940) las, ist Dyson nachgegangen: «Eine Wissenschaft gilt als nützlich, wenn ihre Entwicklung die bestehende Ungleichheit in der Verteilung des Reichtums vergrössert oder wenn sie die Vernichtung menschlichen Lebens unmittelbar befördert.» Der Schüler wollte seinen Lehrer widerlegen. Er habe zu beweisen versucht, so Dyson in einem Rückblick auf seine Anfänge, «dass Wissenschaft durchaus nützlich sein kann, ohne Schaden anzurichten». Nützlich gemacht hat er sich zunächst freilich in der theoretischen Physik, durch den Nachweis der Äquivalenz zweier Formulierungen der Quanten-Elektrodynamik.

Dyson ist nicht seiner (zahllosen) Verdienste im Bereich der mathematischen Physik wegen ausserhalb der Fachwelt bekannt geworden. Es sind seine alle Disziplinengrenzen nonchalant missachtenden Zukunftsspekulationen, die immer wieder das Interesse der «wissenschaftlichen Laien» auf sich ziehen. In seinem 1999 erschienenen Buch «The Sun, the Genome, and the Internet» (deutsch 2000) hat er eine Vision «grüner» Biotechnologien skizziert, die zu reden gab. Die Frage, wie es weitergehen könnte mit der Menschengattung, mit dem Leben auf dem Planeten und im Kosmos, treibt den Emeritus der Princeton University auch in höherem Alter um. Nebenstehender Essay spinnt die Fäden fort und wagt unter anderem die provozierende Voraussage, Biotechnologie werde zur alltäglichen Sache werden, ähnlich wie PC und Laptop; «Genom-Design» zu einer individuell gepflegten Kunstform, zur Freude und zum Nutzen aller – wenn nichts dazwischenkommt.

Quellenangaben

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Wissenschaft #Zukunft #Genetik