Swisslife-Chef- «Wir können das Problem der Wohnungsnot lösen»

Der Swiss-li­fe-ceo Patrick Frost ver­wal­tet den gröss­ten Im­mo­bi­li­en­schatz der Schweiz. Er er­klärt, war­um zu we­nig ge­baut wird und wo er Dif­fe­ren­zen mit sei­nem Chef hat.

NZZ am Sonntag: In der Schweiz zeichnet sich eine Wohnungsnot ab, bis 2026 fehlen mehr als 50 000 Wohnungen. Swiss Life ist der grösste private Immobilienbesitzer in der Schweiz. Was tun Sie dagegen?

Patrick Frost: Swiss Life hat letztes Jahr mehr als 1000 neue Wohnungen gebaut, das ist deutlich mehr, als unserem Marktanteil von 0,7 Prozent entsprechen würde. Auch in Zukunft werden wir jährlich 1000 Wohnungen bauen – sofern man uns auch lässt.

Die Bauplanungen sind auf ein 25-Jahre-tief gefallen. Wo liegt das Problem?

Unterschiedliche kantonale Bauvorschriften, vor allem im Lärmschutz, erschweren die Realisierung von Bau- und Verdichtungsprojekten. Gravierend sind auch die Einsprachen. Teilweise dauert es Jahre, bis man eine Baubewilligung erhält. Zudem sind die Zinsen und die Bauteuerung gestiegen. Einige Investoren ziehen sich deshalb zurück. In Deutschland hat der grösste Immobilieneigentümer angekündigt, keine Neubauten mehr in Angriff zu nehmen.

Denken Sie auch an solche Schritte?

Nein, für uns ist das kein Thema. Wir wollen Teil der Lösung sein. Wenn wir könnten, würden wir noch mehr bauen. Schweizweit gibt es genügend unbebaute Reserven und bebaute Potenziale, um die zusätzliche Nachfrage nach Wohnraum in den nächsten Jahren zu decken. Laut einer Schätzung der ETH könnte in den eingezonten Flächen Raum für über eine Million Menschen geschaffen werden. Das zeigt: Wenn wir wollen, können wir das Problem der Wohnungsnot lösen.

Wie lässt sich der Bau neuer Wohnungen beschleunigen?

Die Fristen, bis eine Baubewilligung vorliegt, müssen verkürzt werden. Der Kantonsrat Zürich will in diese Richtung gehen, was ein sehr wichtiger Schritt wäre. Hinderlich sind hingegen zusätzliche Regulierungen, weil dies die Bautätigkeit weiter einschränkt und Mieter ihren Wohnraum horten. Die Leute bleiben dann länger in ihrer Wohnung, selbst wenn diese zu gross ist, weil sie genau wissen, dass sie keine neue finden. Dadurch trocknet der Wohnungsmarkt komplett aus. Das macht die ganze Gesellschaft statisch.

In der Westschweiz hat die öffentliche Hand teilweise ein Vorkaufsrecht. Das wird als Heilmittel für günstige Wohnungen gepriesen. Wie sehen Sie das?

Das gibt es auch in Deutschland. Die Konsequenz ist, dass noch weniger gebaut wird. Denn private Investoren tragen den ganzen Aufwand, müssen aber immer damit rechnen, dass sie letztlich leer ausgehen. Dadurch sinkt das Interesse, Grundstücke zu entwickeln. Man erreicht das Gegenteil von dem, was man eigentlich will.

Sie bezeichnen sich als Teil der Lösung. Das sehen linke Kreise anders, sie werfen Investoren wie Swiss Life vor, am Bedarf vorbei zu bauen und nur die eigene Rendite zu optimieren. Was sagen Sie zu solchen Vorwürfen?

Unsinn – sie zielen komplett in die Irre. Sozialistische Rezepte, die die Marktwirtschaft überwinden wollen, verschärfen Probleme, statt sie zu lösen. Das zeigen alle Erfahrungen mit Massnahmen wie Mietendeckeln und zusätzlichen Kontrollen. Gegen Genossenschaften habe ich hingegen nichts einzuwenden. Auch sie sind Teil der Lösung, solange sie gut geführt sind und ohne Subventionen auskommen.

Home-office hat die Pandemie überlebt. Warum wandeln Sie nicht einfach Büros in Wohnungen um?

Während der Pandemie war die Angst gross, dass die Firmen Bürofläche reduzieren werden. Passiert ist es nicht, im Gegenteil. Die Leute arbeiten heute zwar im Schnitt einen Tag mehr zu Hause. Aber wenn sie im Büro sind, ist es wichtig, dass sie sich begegnen können – was zusätzliche Flächen beansprucht. Büros lassen sich noch immer sehr gut vermieten, die Leerstände sind sogar tiefer als vor der Pandemie. Einzige Ausnahme sind Verkaufsflächen.

Sie haben sich einmal als begeisterter Mieter bezeichnet. Heute könnten Sie sich glücklich schätzen, wenn Sie ein Eigenheim besitzen würden.

Unsere Miete ist in den letzten Jahren ebenfalls gesunken. Aber klar, im Nachhinein wäre es rein ökonomisch gesehen natürlich toll gewesen, ein Haus gekauft zu haben. Aber ich wohne gerne zentrumsnah. Ich habe keine Lust, im Krachen ein Einfamilienhaus zu bauen und mit dem Auto zur Arbeit zu pendeln.

Die Immobiliengesellschaft SPS schliesst das Warenhaus Jelmoli. Sie kündigten Manor schon vor Jahren den Vertrag an der Bahnhofstrasse in Zürich und wurden scharf kritisiert dafür. Fühlen Sie sich heute in Ihrem Entscheid bestätigt?

Absolut! Es war nicht unsere Aufgabe, eine Milliardärsfamilie zu subventionieren. Es hat lange gedauert, bis Manor auszog. Nun konnten wir endlich umbauen, dieses Jahr wird der Brannhof fertig. Der Mietstand ist hervorragend, wir können unsere ursprünglichen Mietzinserwartungen sogar noch übertreffen.

Wie attraktiv sind Innenstädte, wenn Anwaltskanzleien, Galerien und einige Luxusboutiquen dominieren und Geschäfte fürs breite Publikum verschwinden?

Die Bahnhofstrasse wird seit Jahrzehnten totgeredet, es kann ja irgendwann tatsächlich kippen.

Ich sehe diese Gefahr nicht. Alle, die an der Bahnhofstrasse investieren, haben ein riesiges Interesse, dass das nicht passiert. Wir halten die Immobilien ja, um auch im nächsten Jahrhundert die Renten unserer Kunden zahlen zu können. Deshalb haben wir das grösste Interesse an einer durchmischten, attraktiven und lebendigen Innenstadt.

Welchen Beitrag leisten Sie konkret dafür?

Der Brannhof ist das beste Beispiel dafür. Mit seinen Läden und Gastro-angeboten ist das Gebäude attraktiv für das Publikum. Auch die Aussenquartiere möchten wir möglichst attraktiv und lebendig gestalten. Deshalb arbeiten wir eng mit den Städten zusammen und tauschen etwa Grundstücke ab, wenn dies hilft.

Die Zinsen steigen. Was heisst das für das riesige Immobilien-portefeuille von Swiss Life?

Höhere Zinsen bedeuten Gegenwind. Es kann Druck auf die Bewertungen der Immobilien geben, was ökonomisch leicht erklärbar ist: Wir können jetzt wieder in Anleihen mit 3,5% Rendite investieren. Immobilien sind derzeit im Vergleich zu Obligationen etwas weniger attraktiv geworden, da die Mieterträge viel weniger ansteigen als die Zinserträge. Aber während wir zum Beispiel in Deutschland die Abschwächung in Einzelfällen bereits konkret zu spüren bekommen, läuft es in der Schweiz immer noch gut am Immobilienmarkt.

Wie gross ist die Gefahr, dass irgendwann Wertberichtigungen nötig werden?

Das können wir nicht ausschliessen. Wir kaufen Immobilien aber wegen der Mieterträge in den kommenden Jahrzehnten. Ob sie bei uns zu einem etwas höheren oder tieferen Wert in der Bilanz stehen, ist sekundär. Gleichzeitig können wir jetzt zu viel besseren Konditionen am Obligationenmarkt anlegen. Insgesamt ist es deshalb für uns als Swiss Life sehr gut, dass die Zinsen steigen.

Swiss Life ist auch in Deutschland und Frankreich aktiv. Wie wichtig ist für Sie ein geordnetes Verhältnis zur EU?

Das ist für uns als Land wichtig.fürdieswisslifesinddie Beziehungen zur EU weniger zentral, weil wir kein grenzüberschreitendes Geschäft haben. Wir betreiben in den Nachbarländern eigene Versicherungsgesellschaften mit einem lokalen Management.wirsindalsonur Eigentümerin ausländischer Versicherungsunternehmen.

Wir fragen, weil Swiss-lifePräsident Rolf Dörig ein erklärter Gegner des Rahmenabkommens mit der EU ist, was auch im Versicherungsverband für Irritationen sorgt. Wie gehen Sie mit der Situation um, dass sich Ihr Chef klar gegen die EU positioniert?

Ich finde super, dass er sich öffentlich äussert. Im Übrigen ist Rolf Dörig auch nicht grundsätzlich gegen eine Lösung mit der EU, er bringt Themen auf den Tisch, die viele Leute in unserem Land stark beschäftigen. In der Migrationsdebatte bin ich teilweise nicht derselben Meinung wie Rolf Dörig. Ich bin mehr als zwanzigmal umgezogen in meinem Leben und habe auch in verschiedenen Ländern gewohnt. So war ich häufig selbst Migrant und bin deshalb bei diesem Thema entspannt.

Sorgt die Meinungsdifferenz für Spannungen zwischen Ihnen?

Nein, überhaupt nicht. Ich bin auch nicht immer gleicher Meinung wie meine Konzernleitungskollegen. Zum Glück, denn wir brauchen eine Meinungsvielfalt. Es ist für mich kein Problem, wenn sich Rolf Dörig öffentlich mit einer anderen Meinung positioniert, als ich sie habe.

Aber Sie haben doch selbst gesagt, dass ein geordnetes Verhältnis mit der EU wichtig sei für unser Land.

Viele Länder in der EU haben ein ganz anderes Staatsverständnis. In Frankreich etwa ist es der Politik wichtig, alles bis ins hinterletzte Detail zu regeln. Die Regulierungswut, die dort existiert, wäre für uns ohne lokales Management gar nicht bewältigbar. Darum finde ich es schon wichtig, dass wir auch der EU gegenüber signalisieren: Ja, wir wollen eine Lösung, aber nicht zu jedem Preis.

Sie sind schon sehr lange in Chefpositionen bei der Swiss Life. Haben Sie keine Ermüdungserscheinungen?

Doch, es gibt diese Momente. Und ich habe sie immer mal wieder gehabt in den 17 Jahren in der Konzernleitung. Natürlich: Immer wenn ich jammere, wie schwer die Aufgabe als CEO ist, sagt mir jemand: Dafür bist du ja gut bezahlt. Und das stimmt. Aber ich möchte nicht den Eindruck erwecken, es sei immer nur alles gut und einfach. Es gibt Momente, die sehr anstrengend sind. Ich tendiere dazu, die Dinge ernst zu nehmen und mich reinzuhängen. Und dann geht zum Teil sehr viel Energie drauf. Dann gibt es auch wieder sehr tolle Tage wie heute, die Freude machen und Energie geben.

Wissen Sie schon, wann Sie den Ceo-posten abgeben wollen?

Nein, einen konkreten Zeitpunkt habe ich noch nicht im Kopf.

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