Die Beisshure und die Kundschaft

Christian mag es, gebissen zu werden, schon seit langem. In die Brust, an Hals und Armen. Oder heftig in die Lippe, wenn jemand in der Erregung zu einem gefährlichen Küsser wird. Bereits vor dieser Party, die einige Freunde jährlich auf die Beine stellen, weiss er, dass er dort von möglichst Vielen gebissen werden will. Eine richtige Beissschlampe, Christian erprobt das Wort auf seiner Zunge, während er sich schick macht.

Dort wo sich der halbdunkle Raum verjüngt, liegen hinter dem Vorhang auch diesmal Matratzen. Für die Mutigen. Der Dresscode zum Abend ist sinnlich, Strassenkleidung nicht erwünscht. Alles spielt an einer Grenze. In dieser aufgeladenen Atmosphäre müsste es ein Leichtes sein, Beisswillige aller Geschlechter zu finden. Etwas hibbelig spaziert Christian durch den noch mässig bevölkerten Hauptraum mit dem DJ-Pult.

Aber es lässt sich harzig an. Nach einer längeren, fruchtlosen Zeit erblickt er Kaya, an die Wand gelehnt. Eine lange Freundschaft verbindet die beiden. So klagt er Kaya sein Leid. «Ich habe rumgefragt, aber die Fische beissen nicht an, sprichwörtlich.»

«Du bist einerseits zu verklemmt.», weiss Kaya. «Aber bis du andererseits endlich jemanden fragst, wirkst du schon dermassen notgeil und verzweifelt, dass dein potenzielles Opfer sich kaum noch geschmeichelt fühlt.» Volltreffer, Kaya kennt ihn gut genug. «In dieser Situation …», Kayas Hand legt sich langsam aber bestimmt auf die gespannte Stelle der Hose, «… ist es für Dich bereits zu spät. Wir machen es so: Du bist jetzt meine Beisshure, ich bin Pimp. Aber die Kundschaft werde ich persönlich anquatschen.» Diese Vorstellung fasziniert auch Christian. Das Spiel, als ob Geld involviert sei.

Das klappt. Kaya treibt die unterschiedlichsten Beisser*innen auf: lange, breite, zögerliche und draufgängerische – von spiessig-nobel bis ausgehungert und flink. Einer, Pascal, beisst Christian voll in die Unterlippe. Er beisst so fest, dass Kaya dazwischengehen will (die Pimp-Rolle kommt mit Pflichten). Kaya legt eine Hand auf Pascals Unterarm, um zu intervenieren. Doch im gleichen Moment lockert Pascal den Kiefer und das Spiel kann sanfter weitergehen. Christians Mimik spricht Bände: Da ist einer ordentlich in Fahrt. Der flache Atem lässt daran ebensowenig Zweifel. Pascal legt einen Arm um Christian und zieht ihn sachte an sich. Nach einer Weile küsst er Christian auf dessen genüsslich geschlossenen Augen. Mit der freien Hand fängt er an, durch Christians Hose den Schwanz langsam zu reiben, bis dieser richtig steif wird.

Als Christian noch begieriger wird, flüstert Pascal ihm fies ins Ohr: «So, ich muss mal rüber zur Bar. Bin eigentlich als Helfer eingetragen. Aber Kaya hat meine Nummer, falls Du mal auf einen Kaffee vorbeikommen magst.» Ein frecher Blick. Und er haut mittendrin ab, dieser Schelm, denkt sich Christian. Aber wie er «Kaffee» sagt, und meint: «Schwanz tief in den Arsch»! Dazu dieses schmierige Zwinkern, als wäre er aus einem Pornofilm herausgefallen. Warum macht mich das trotzdem so an? So bleibt Christian mit seiner unbeschäftigten Latte zurück.

Nachdem Kaya ihn noch einige Male vermietet hat, begibt sich Christian hinters Gebäude, um eine zu rauchen. Eine Frau mit strengen Zügen lässt fast die Zigarette fallen: «Oh wow! Du hast ja heftige Zahnabdrücke im ganzen Gesicht! Was ist denn Dir passiert?» – «Ich mag es, wenn Leute mich beissen. Fest.», entgegnet er. «Möchtest Du auch mal?»

Verlegenes Lachen: «Ah, nein. Lass mal gut sein. Ich bin zum ersten Mal an so einer Party. Aber Du bist so richtig am Leuchten. Bist wohl ganz gut auf Deine Kosten gekommen?» Mariana weiss nicht, ob sie sich von seinem erschöpft glimmernden Lächeln angezogen fühlt, oder ob sie nicht einfach verdammt neidisch ist. Neidisch auf diesen Schatten von sexueller Überreizung, neidisch auf seinen nun schläfrigen Blick, der an diesem Abend so viel gesehen hat? Und ein Knistern ist auf jeden Fall spürbar, für beide Seiten.

Aber Christians Lockerheit weicht wieder zurück, obwohl er sich dagegen wehrt. «Verklemmt», wie es Kaya genannt hat, murkst er an einer Unterhaltung herum. Dass das Gespräch immer wieder ins Stocken gerät, stört Mariana kaum. Auch sie selbst fühlt sich ja nicht wie eine Meisterin des Flirts. Und seine Unbeholfenheit wirkt auch entwaffnend. Dieser leicht heruntergewirtschaftete Kerl fängt an, ihr zu gefallen.

So tauschen die beiden vielsagende Blicke aus. Christian spürt, dass es aufgrund seiner Erfahrenheit an ihm wäre, den ersten Schritt zu tun. Einen Vorwand zu finden, sie an der Schulter zu berühren. Denn dann könnten beide so tun, als würden sie nicht merken, wie Christians Hand unendlich langsam, getarnt von diesem hölzernen Smalltalk, zu ihrem Hintern hinunterwandern würde. Und warum fühlte sich Mariana so gierig? Ob sie gerne wandert, hat er gerade gefragt. Mässig aphrodisierende Frage. Und doch möchte sie am liebsten so nah an ihn herantreten, dass sie ihre Möse direkt gegen seine locker herunterhängende Hand pressen könnte. Aber am Ende wagt niemand den ersten Schritt.

Als Christian später an der Garderobe seine Sachen holt, wirkt er etwas enttäuscht. Die Beissereien waren toll. Doch all dies hat eine durstige Spannung in ihm aufgebaut, die sich nur mit Ficken lösen könnte. Pascal sieht aus etwas Entfernung, dass Christian frustriert wirkt. «Alles okay bei dir?» Aber Christian kann selbst gar nicht genau sagen, warum er nicht recht im Lot ist. «Irgendwie bin ich aufgekratzt. Aber auch total unleidlich, obwohl ich einen so intensiven Abend hatte.» Pascal weiss da auch nicht recht weiter. In einer gewissen Ratlosigkeit legt er einfach wieder die Hand in Christians Schritt. Schliesslich war es das, was zuvor beiden am meisten Spass gemacht hat. Und dann ist da wieder dieser Schalk: «Na, sonst komm noch vorbei. Rico hat uns so eine teure Maschine in die Küche gestellt. Hast Du Lust auf einen richtig guten Espresso?»

Meine Güte! Der Typ und seine onkelhaften Doppelbödigkeiten, denkt Christian. Und Pascal gibt noch einen oben drauf: «Wenn Rico noch wach ist, nimmt er bestimmt auch ein Tässchen.» Das hört ja nicht mehr auf! Aber Pascals Hand, mit ihrem sanften Kreisen, bringt ihn rasch zur richtigen Entscheidung.

«Ich hab echt Bock auf Dich. Ich komme mit. Aber, meine Herren! Morgen müssen wir darüber reden, wie lauwarm deine doppeldeutigen Sprüche sind.» Pascal gibt sich ignorant und provoziert: «Aha. Aber also jetzt ein Käffchen?» Ja, Kaffee. «Heiss und viel!» quittiert Christian mit gespielter Verärgerung. Und denkt: Etwas Humor hat schon oft zu gutem Sex geführt.