Pragmatismus gegen Prinzipien beim Streit um die Basler Steuern

Sie stammen aus bescheidenen Verhältnissen, teilen linke Werte – doch beim Basler Steuerpaket sind sie sich uneins: SP-Regierungsrätin Tanja Soland und Juso-Präsident Nino Russano.

Frau Soland, Herr Russano, beim Steuerpaket geht es vor allem um eins: Geld. Mit welchem Verständnis von Geld sind Sie aufgewachsen?

Tanja Soland: Dass wir keins haben. Seit ich herausgefunden habe, wie wenig mein Vater damals verdient hat, frage ich mich, wie er das gemacht hat. Wir waren zeitweise fünf Kinder, haben als Patchwork-Familie in einer Vierzimmerwohnung im Rosental gelebt.

Nino Russano (nickt): Wir haben einen ähnlichen Hintergrund. Ich bin zwar ein Einzelkind, aber bei uns war es genauso. Steuerrechnungen oder generell Rechnungen haben immer für Diskussionen gesorgt. Das ist bis heute so. Ich überlege mir Dinge wie: Wenn ich jetzt ein Praktikum mache, wird mir das bei den Ergänzungsleistungen wieder abgezogen. Es ist ein ständiges Feilschen, weil kaum Geld da ist. Irgendwann habe ich dann gemerkt, dass das Geld in der Welt einfach sehr ungleich verteilt ist.

In Basel-Stadt ist es sogar besonders ungleich verteilt. 2019 betrug das durchschnittliche Reinvermögen in den Vorstädten von Basel 2,5 Millionen Franken, was auf wenige Superreiche zurückzuführen ist. Die Hälfte der dortigen Bewohner hat weniger als 40’000 Franken auf der hohen Kante. Im Klybeck sind es gar weniger als 2400 Franken. Ist es richtig, diese Ungleichheit mit dem Steuerpaket weiter zu zementieren, Frau Soland?

Soland: Das Steuerpaket hat darauf wenig Einfluss, dafür ist es viel zu klein. Interessant ist vielmehr, dass bei uns in Basel-Stadt so viele Personen mit sehr viel Vermögen wohnen. Sie könnten ja umziehen und würden dann deutlich weniger Steuern bezahlen. Das sind aber Menschen, die bei uns verwurzelt sind, unseren Institutionen sehr viel Geld zur Verfügung stellen und spenden. Das Mäzenatentum ist eine Spezialität in dieser Stadt, um die wir sehr froh sind.

Wenn diese Menschen sowieso hierbleiben, warum senken Sie dann deren Steuern überhaupt? Provokativ gefragt: Ist das eine verdeckte Kultursubvention?

Soland: Nein. Es ist ein Zeichen der Wertschätzung. Wir zeigen, dass wir ihr Engagement schätzen.

Russano: Dieses Zeichen der Wertschätzung kostet allerdings 12 Millionen Franken. Angesichts der Inflation sollten tiefe Einkommen entlastet werden und nicht jene, die schon viel Geld haben …

Soland (unterbricht): Aber die entlasten wir ja auch …

Russano (fällt ihr ins Wort): Das Paket ist überladen und unausgewogen. Zwei Elemente kommen nur einer Klientel, den Reichen, zugute: die Senkung der Vermögenssteuer und die Senkung des mittleren und oberen Steuersatzes. Dabei geht es insgesamt um über 20 Millionen Franken. Wenn das Paket nur eins von beidem beinhaltet hätte, hätten wir das Referendum nicht ergriffen. Nun aber haben diese Entlastungen zu viel Gewicht. Ausserdem wird mit der Senkung des mittleren und oberen Einkommenssteuersatzes die Topverdienersteuer teilweise verwässert – eine Errungenschaft, die wir von den Juso damals zusammen mit der SP erreicht hatten.

Soland (nachdenklich): Ich denke nicht, dass die Topverdienersteuer verwässert wird. Da sämtliche Steuersätze gesenkt werden, bleibt die Progression, also die stärkere Belastung hoher Einkommen im Vergleich zu den tiefen, gleich.

Wer ein Vermögen von einer Million hat, spart mit dem Steuerpaket künftig 375 Franken an Steuern. Verdienen die Reichen diese doch sehr kleine Wertschätzung denn nicht, Herr Russano?

Russano: Natürlich sollte eine gewisse Wertschätzung vorhanden sein. Aber wenn der Staat ein Steuerpaket ausarbeitet, sollte er dort ansetzen, wo die Wirkung am grössten ist. Die 12 Millionen Franken liessen sich anderweitig sinnvoller verwenden, etwa für den Service public, bessere Löhne in der Pflege, bezahlbaren Wohnraum, den ÖV. Davon profitieren alle, genauso wie von der Senkung des unteren Einkommenssteuersatzes …

Soland (unterbricht): Nein, nicht alle. Es gibt auch Vermögende, die keine Einkommenssteuern zahlen.

Frau Soland, Sie wollen jetzt sicher noch sagen, dass Investitionen in den Service public angesichts der konstanten Überschüsse – durchschnittlich über 300 Millionen in den vergangenen zehn Jahren – weiterhin möglich sind, oder?

Soland: Genau, das war die Überlegung. Das Ziel war nicht, die Ungleichheit zu verringern, sondern, dass alle profitieren. Zusätzlich liegt ein Fokus darauf, bestimmte Gruppen verstärkt zu entlasten; konkret Familien, den Mittelstand und die ganz tiefen Einkommen. Ich konnte einbringen, dass auch jene, die Prämienverbilligungen erhalten, den vollen Versicherungsabzug geltend machen können. Davon profitieren 1500 Menschen mit sehr wenig Geld. Vor diesem Hintergrund finde ich es in Ordnung, auch den Vermögenden etwas zu geben.

Welche Rückmeldungen bekommen Sie von reichen Menschen, Frau Soland? Was wünschen sich diese von Basel-Stadt?

Soland: Sie bringen tatsächlich relativ wenig Wünsche an. Aber die Topverdienersteuer ist als unangenehm empfunden worden. Ich glaube, es ging dabei nicht ums Geld, sondern vielmehr darum, dass sie in eine Ecke gedrängt und als «schlecht» und «Schmarotzer» dargestellt wurden. Diese Rückmeldungen befinden sich auf einer sehr emotionalen Ebene. Wir reden hier von sehr Reichen, die sich Mühe geben, der Gemeinschaft etwas zurückzugeben.

Die Rhetorik, man könne sich Steuergeschenke für Reiche nicht leisten, wird vor allem von den Juso angewandt.

Russano: Es geht mir nicht darum, dass ich neidisch wäre oder es den Reichen nicht gönnen würde, dass sie viel Geld haben. Für mich ist die Frage entscheidend, wer in dieser Gesellschaft die politische Macht hat. Es geht um die Demokratie! Basel-Stadt ist der Kanton mit der zweitgrössten Ungleichheit innerhalb der Schweiz. Es darf nicht an reichen Einzelpersonen liegen, was man mit den finanziellen Ressourcen in diesem Kanton macht – auch wenn diese noch so gute Absichten haben. Und es ist einfach so: Einkommensstarke und vermögende Personen haben in vielerlei Hinsicht einen längeren Hebel. Wenn die Ungleichheit weiter zunimmt, wird die Demokratie geschwächt …

Soland (schüttelt den Kopf): Bei uns in Basel-Stadt stimmt das einfach nicht …

Russano (unterbricht): Aber die Ungleichheit bei den Vermögen nimmt ja stetig zu …

Soland (fällt ihm ins Wort): Ja, schon. Aber weder hat das auf das soziale Basel einen negativen Einfluss noch auf die politische Macht. Ganz viele der Vermögenden in Basel sind nicht politisch aktiv, sondern leben eher zurückgezogen. Es stimmt schon, dass Geld eine Rolle spielt. Darum finde ich es auch wichtig, dass wir im Kanton dafür sorgen, dass jene, die wenig haben, nicht abgehängt werden. Aber tatsächlich macht hier niemand eine Kampagne – etwa gegen Sozialhilfebeziehende oder gegen eine Erhöhung der Prämienverbilligung. Bei uns werden solche Massnahmen sehr wohlwollend aufgenommen, und das finde ich wirklich erstaunlich. Schon im Nachbarkanton sieht das anders aus. In Basel-Stadt ist das Finanzielle vielleicht sehr ungleich verteilt, aber das soziale Gewissen nicht.

Sehen Sie eine Gefahr, dass ein Nein zum Steuerpaket Konsequenzen in der sozialen Gesinnung der Reichen haben könnte oder dass diese gar vermehrt wegziehen könnten?

Soland: Nein, das glaube ich nicht. Wohl würde eher der Mittelstand verärgert. Und der Druck wäre wahrscheinlich hoch, dass bald ein neues Paket kommt.

Sie sind im Rosental aufgewachsen. Die Hälfte aller Bewohner und Bewohnerinnen dieses Quartiers hat weniger als 4500 Franken Reinvermögen. Wie nehmen wohl diese Menschen den Diskurs um die Steuersenkung wahr?

Soland: Meine Eltern wohnen immer noch dort. Auch sie finden sich in dieser Statistik wieder. Sie haben kein Vermögen, aber sie sind für das Steuerpaket. Denn sie sind froh, wenn sie ein bisschen weniger Steuern bezahlen müssen. Den Leuten mit wenig Geld, die ich kenne, ist es egal, wie sehr Vermögende entlastet werden. Ihnen geht es darum, wie viel sie selbst bezahlen müssen. Ich nehme die Vermögenssteuer eher als ein Thema von politisch Aktiven wahr.

Russano (nickt): Da muss ich dir recht geben. Als ich mit meinen Eltern einmal kurz über das Steuerpaket gesprochen habe, haben sie gesagt, sie wären froh, wenn sie ein bisschen entlastet würden. Für sie ist es schwierig, nachzuvollziehen, weshalb ich dagegen bin. Doch man muss das grosse Ganze betrachten. Wir sind dafür, dass jene, die wenig Steuern zahlen, entlastet werden …

(wir unterbrechen) Aber Sie gefährden doch genau das mit Ihrem Referendum. Wenn die Stimmbevölkerung Nein sagt zum gesamten Paket, gibt es auch keine Steuerreduktion für finanziell Schwache, also genau jene Gruppe von Menschen, für die Sie Politik machen möchten.

Russano: Nein, das sehe ich ganz anders. In diesem Paket gibt es Aspekte, die von links bis rechts unbestritten sind. Diese kann man sofort implementieren. Wir haben aber noch einen konkreten Gegenvorschlag, wie man das Paket sozialer gestalten könnte.

Soland (zieht die Augenbrauen hoch): Also, diesen Gegenvorschlag müsste der Grosse Rat ja zunächst abnicken und das Paket müsste neu geschnürt werden. Vielleicht fallen dann andere Sachen wieder raus wie etwa der Pauschalabzug für Versicherte, der mir sehr wichtig ist. Ich mache auf einer viel tieferen Flughöhe Politik als du. Du bist philosophisch unterwegs mit dem Kapitalismus und der Ungleichheit …

Russano (unterbricht mit einem Schmunzeln): Und du musst in deiner Rolle als Regierungsrätin bleiben, das ist schon klar.

Soland: Wir haben im Kanton Basel-Stadt Leute, die sehr wenig Geld haben. Meine Überlegung ist: Wie kann ich ihnen helfen? Und da bin ich sehr pragmatisch. Wenn ich 1500 dieser Personen helfen kann, ist mir das 12 Millionen für die ganz Reichen wert.

Russano: Das verstehe ich. In deiner Position ist dies der Kompromiss, der mit den bestehenden politischen Mehrheitsverhältnissen möglich ist. Aber wir als Juso sind in einer ganz anderen Rolle. Wir sehen das vorliegende Paket und wir finden es nicht schlüssig. Mit dem Referendum hat die Bevölkerung die Wahl. Wenn sie Nein sagt, ist das ein starkes Signal an den Grossen Rat, dass man sich mit den Vorschlägen der Gegnerinnen und Gegnern des Steuerpakets auseinandersetzen und einen Schritt auf uns zugehen sollte.

Und was, wenn die Bevölkerung das Steuerpaket sehr deutlich annimmt? Machen die Juso dann auch einen Schritt auf die Befürworter zu und dämpfen ihre Rhetorik etwas?

Russano: Wenn die Bevölkerung sich für den Kompromiss entscheidet, nehmen wir das natürlich so zur Kenntnis. Was dies dann konkret für eine Auswirkung haben wird, ist schwierig abzuschätzen. Wir sind überzeugt, dass wir mit unserem Gegenpaket einen besseren Vorschlag haben.

Aus bürgerlicher Sicht könnte man am Paket noch etwas anderes kritisieren: Der Sozialabzug wird erhöht, was dazu führt, dass noch weniger Baslerinnen und Basler überhaupt Steuern bezahlen. 28 Prozent der Veranlagungen zeigen dann unter dem Strich eine Null an. Ist das gut für die Gesellschaft?

Soland: Ich finde, es ist einfacher so. Das sind ja meistens Leute, die in irgendeiner Form bereits Geld vom Staat erhalten. Eine Kopfsteuer wäre ein bürokratischer Unsinn. Auch den Gedanken, dass man nur zu einer Gesellschaft dazugehört, wenn man Steuern zahlt, teile ich nicht. Die Diskussion über die Zugehörigkeit zu einer Gesellschaft müsste man eher über das Stimmrecht führen, das ein grosser Teil der Bevölkerung nicht hat.

Kürzlich haben wir berichtet, dass die Steuerzahler im Nachbarkanton für das Restloch in der Esaf-Kasse aufkommen. Solch ein Bericht interessiert einen doch mehr, wenn man selbst Steuern bezahlt. Könnte es nicht das Interesse an lokaler Politik steigern, wenn man Steuern zahlt?

(beide lachen, weil sie die Frage offenbar absurd finden) Russano: Ich glaube nicht. Ich stimme Tanja zu. Ob man sich für Politik interessiert oder nicht, hängt vielmehr mit dem Stimmrecht zusammen. Es stimmt im Übrigen auch nicht, dass jemand gesamthaft keine Steuern zahlt, nur weil er keine kantonalen Steuern leistet. Es gibt immer noch indirekte Steuern wie zum Beispiel die Mehrwertsteuer.

Soland: Ich habe das Gefühl, dass viele Leute, mit denen ich über Politik diskutiere, keine Steuern zahlen, aber annehmen, dass sie das irgendwann tun werden und sich deshalb für Finanzpolitik interessieren. Es ist wie bei den Hausbesitzern: Wenn es darum geht, diese zu entlasten, sind auch viele Nicht-Hausbesitzer dafür, weil sie denken, irgendwann werden sie auch mal ein Haus haben.

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