Nachhaltig anlegen – Mehr Moral, bitte

Viele Menschen möchten ihr Geld nachhaltig anlegen. Die Standards und Definitionen dafür sind jedoch noch sehr uneinheitlich. Bei vielen Angeboten muss der ethische Anleger noch Kompromisse machen.

Von Nils Wischmeyer

Noch macht nachhaltige Geldanlage einen einstelligen Prozentsatz des Marktes aus. Waffen in Mexiko, die vernichtet werden sollen: Manche Fonds schließen aus, in Waffen, Öl oder Kohle zu investieren. Illustration: Stefan Dimitrov

Köln - Lange Zeit galt in der Finanzwelt ein Kriterium als entscheidend: die Rendite. Sie musste stimmen, steigen und durfte auf keinen Fall stagnieren. Wer eine hohe Rendite versprach, bekam die Kunden auf der anderen Seite des Tischs oft dazu, ihr Geld anzulegen. Das allein aber reicht in Zeiten von “Fridays for Future” nicht mehr. Die Menschen schauen zunehmend darauf, ihr Geld nicht nur renditeträchtig, sondern immer öfter auch nachhaltig anzulegen.

Dem Forum für Nachhaltige Geldanlage zufolge lag das Anlagevolumen in nachhaltige Geldanlagen im Jahr 2018 in Deutschland bei mehr als 130 Milliarden Euro und steigt damit seit Jahren stark an, wenn auch von einem niedrigen Niveau. Noch macht nachhaltige Geldanlage einen einstelligen Prozentsatz des Marktes aus. Selbst bei diesem Anteil ist nicht immer ganz klar, ob das der Fall ist. Denn die Standards sind uneinheitlich, Siegel gibt es so viele wie Fallstricke. Was also tun?

Nachhaltigkeit, was ist das eigentlich? Müssen wir uns radikal einschränken, um die Welt zu retten? Oder darf Nachhaltigkeit in einigen Bereichen des Lebens auch mal pragmatisch sein? Lesen Sie das und mehr in der großen SZ-Sommerserie.

Zunächst gilt für Investments in nachhaltige Unternehmen das Gleiche wie für alle anderen: Anleger sollten sie möglichst breit über verschiedene Kontinente und Branchen streuen und nur langfristig Geld einsetzen. Das mindert das Risiko und hilft Anlegern, auch Finanz- und Wirtschaftskrisen auszusitzen und nicht mit Verlust verkaufen zu müssen. Besonders geeignet dafür sind etwa Aktienfonds, Rentenfonds, Mischfonds und ETF, also börsengehandelte Fonds. Letztere funktionieren wie ein großer Korb, in dem Aktien eines Index wie beispielsweise des Leitindex Dax liegen. Steigt der Kurs des Index, steigt auch der Kurs des ETF. Verlockend, aber nicht zu empfehlen, sind einzelne Aktien oder sogenannte Themenfonds, die sich beispielsweise nur auf eine Branche konzentrieren. Das Risiko ist zu konzentriert.

Dass die Anlage in nachhaltige Investments die Rendite schmälere, wird immer wieder angeführt, ist aber ein Mythos. Das haben drei Wissenschaftler in einer großen Meta-Studie bereits vor einigen Jahren aufgeschlüsselt. Sie untersuchten 2000 Studien, die sich mit der Rendite von nachhaltiger Geldanlage auseinandersetzten. 90 Prozent kamen zu dem Schluss, dass Nachhaltigkeitskriterien keinen negativen Einfluss auf die Rendite haben.

Das wirklich Schwierige ist jedoch, unter all den Aktienfonds, Anleihefonds und ETF überhaupt einen ökologisch-ethischen zu finden. Nachhaltigkeit an sich ist nämlich kein geschützter Begriff. Jede Firma darf zunächst einmal von sich behaupten, “nachhaltig” oder “grün” zu sein, ganz gleich, was sie herstellt. Das führt dazu, dass viele ETF und auch aktive Fonds mit Begriffen wie “Social Responsibility” und “Sustainability” werben, aber nicht unbedingt das abbilden, was man sich als umweltbewusster Anleger darunter vorstellt.

Generell gibt es zwei dominante Strategien. Da ist zum einen der Best-in-Class-Ansatz. Dabei kauft der Fonds das “nachhaltigste” Unternehmen einer Branche, was dazu führen kann, dass man auch Öl- oder Waffenproduzenten im Portfolio hat, nur eben die vergleichsweise nachhaltigsten der Industrie. Zum anderen gehen Fonds nach dem Ausschlussprinzip vor. Sie legen dafür fest, in welche Branche sie nicht investieren, beispielsweise Waffen, Öl, Kohle oder Pornografie. Doch auch hier gibt es immer wieder Fallstricke, Ungenauigkeiten und Ausnahmen. So werden in einigen Fonds Kohlefirmen offiziell ausgeschlossen. Bei genauerem Hinsehen aber gilt das nur für Firmen, die mehr als 30 Prozent des Umsatzes mit Kohle machen. “Bei beiden Ansätzen müssen Anleger ganz genau hinschauen und für sich entscheiden, was ihnen wichtig ist und wo sie bereit sind für Kompromisse”, sagt Anke Behn von der Verbraucherzentrale in Bremen.

Eine einheitliche Definition für Nachhaltigkeit könnte es bald geben

Einen radikalen Ansatz fährt Alfred Platow. Der Gründer der Fondsgesellschaft Ökoworld betreibt noch am ehesten das, was sich viele wohl unter einem nachhaltigen Fonds vorstellen, auch wenn er direkt korrigiert: “Nachhaltig ist ein Marketingbegriff. Wir sprechen von ethisch-ökologisch.” Als einziger Fonds gilt der des 72-Jährigen bei der Verbraucherzentrale Bremen als zu 100 Prozent nachhaltig. Auch die Stiftung Warentest und Ökotest empfehlen ihn. Platow ist vor mehr als 20 Jahren mit viel Aufwand gestartet. Während andere Fonds ihre Informationen einkaufen, hat er ein eigenes Team, das an Ort und Stelle Unternehmen unter die Lupe nimmt, mit Nichtregierungsorganisationen und Vertretern der Gewerkschaften spricht. Hat das Team einen Kandidaten für den Fonds ausgemacht, erstellen sie ein mehrseitiges Dossier, das dann einem unabhängigen Anlageausschuss vorgelegt wird. Der entscheidet, ob das Unternehmen den eigenen Ansprüchen an die Nachhaltigkeit genügt. Das führt nicht selten zu Streitereien mit den Portfoliomanagern, so Platow. Die hätten gern mehr Unternehmen mit höherer Rendite dabei. Doch Platow bleibt eisern: Was der Ausschuss ausschließt, kommt nicht in Betracht.

Dieser Prozess ist aufwendig und teuer, weshalb Platow auch viel Geld von seinen Kunden verlangt. Mit ein bisschen Stolz in der Stimme sagt er sogar: “Wir sind gerne eine teure Fondsgesellschaft. Denn unser Investmentprozess ist Premium-Bio und nicht Billig-Discounter.” Schlecht muss das für die Anleger nicht sein, wenn man sich die Rendite nach Abzug der Gebühren und Kosten anschaut. Die lag eigenen Angaben zufolge im Durchschnitt bei sechs Prozent jährlich. Oder wie Platow sagt: “Ökologie muss auch ökonomisch sein, sonst ist das Unfug.” 2000 Unternehmen hat das Team bislang mit diesem Ansatz untersucht, etwas mehr als 250 haben es in den Fonds geschafft. Darunter Tomra, ein Unternehmen, das Pfandrückgabeautomaten herstellt. Der große Haken? Dadurch, dass Ökoworld in vergleichsweise wenige Unternehmen anlegt, ist das Investment anfällig für schwankende Kursen. Beispiel 2018: Nahezu alle Fonds verloren, selbst viele breit gestreute, etwa 15 oder 20 Prozent - bei Ökoworld waren es jedoch teils mehr als 40 Prozent. Stefan May, Leiter des Anlegermanagements bei der Berliner Privatbank Quiring, fasst das Problem etwa so zusammen: “Wer auf der Nachhaltigkeitsseite keinen Kompromiss eingehen will, geht ihn auf der Risikoseite ein.” Das bedeutet im Umkehrschluss: Wer breiter anlegen will, wird im engeren Sinne weniger nachhaltig. Die neue Vermögensverwaltung der Quirin Privatbank achtet etwa auf Nachhaltigkeit, doch ist sie wesentlich lascher im Ausschluss als Platow und hat auch Firmen im Portfolio, die noch einen langen Weg gehen müssen, bis sie als nachhaltig gelten können. “Wir sind uns sicher, dass wir in die richtige Richtung gehen”, sagt May und ergänzt: “Wir sind bewusst einen gesunden Kompromiss zwischen Nachhaltigkeit und Risikostreuung eingegangen, den wir verantworten können.”

Richtig gut leben - die große Nachhaltigkeitsserie. Folge 1: Fonds und Konten

Anders ausgedrückt: Die perfekte grüne Anlage, ohne höheres Risiko und mit niedrigen Kosten, ist so noch nicht geboren worden. “Wer nachhaltig anlegen will, muss wissen, was er will, Kompromisse eingehen und am Ende selbst entscheiden, was ihm am wichtigsten ist”, sagt Behn von der Verbraucherzentrale in Bremen. Eine einheitliche Definition für “Nachhaltigkeit” könnte es aber bald geben. Daran arbeitet eine Expertenkommission der EU. Diese hat bisher eine Liste mit “nachhaltigen” Anlagen geplant, an der sich Anbieter nachhaltiger Finanzprodukte orientieren müssen. Europaparlamentarier Sven Giegold von den Grünen reicht das nicht: “Es bräuchte schärfere, ausschließende Kriterien”, sagt er. Das heiße nicht, dass man Unternehmen sofort ausschließen müsse. Denn 100 Prozent ökologisch sei kaum zu schaffen, doch sollte zumindest versucht werden, nah ranzukommen. “Wir müssen deshalb eine Balance zwischen Greenwashing und der reinen Lehre finden”, sagt Giegold. Zeit genug bleibt für Änderungen. Bis der Kriterienkatalog in Kraft tritt, müssen sich Rat, Parlament und Kommission noch auf Rahmenbedingungen einigen. Das dürfte noch einige Monate dauern.

Folge 2 der Nachhaltigkeitsserie erscheint am 1. August zum Thema: Autokauf.

Nils Wischmeyer [author-profile-1]

Nils Wischmeyer ist Mitarbeiter in der Wirtschaftsredaktion. Aufgewachsen in Köln, Studium der Sozialwissenschaften und Volkswirtschaftslehre, Ausbildung an der Kölner Journalistenschule, Stationen in Berlin, München und Shanghai. Seit 2017 bei der Süddeutschen Zeitung, seit 2018 in NRW. Schreibt über Geld, Finanzen und kleine wie große Fintechs.