Jedes Jahr kommen fremde Hopfenhändler nach Koropta. So mancher, der das saubere Städtchen betrachtet, geht die Hauptstraße entlang, steigt den Hügel empor, auf dem die Kirche steht, streift durch den Friedhof und sieht die merkwürdige Inschrift:

Oberst Nikolaus Tarabas, ein Gast auf dieser Erde.

Der Fremde kehrt in den Gasthof Kristianpollers zurück, trinkt ein Bier, einen Met oder einen Wein und fragt den Wirt: »A propos, da hab’ ich so ein rätselhaftes Grab gesehn!«

Solche Gäste erscheinen Nathan Kristianpoller – er weiß selber nicht warum – sympathischer als alle anderen. Er setzt sich an den Tisch des Fremden und erzählt die sonderbare Geschichte von Tarabas.

»Und ihr Juden habt keine Angst mehr?« fragt gelegentlich der Fremde.

»Was wollen Sie?« pflegt dann Kristianpoller zu antworten: »Die Menschen vergessen. Sie vergessen die Angst, den Schrecken, sie wollen leben, sie gewöhnen sich an alles, sie wollen leben! Das ist ganz einfach! Sie vergessen auch das Wunderbare, sie vergessen das Außerordentliche sogar schneller als das Gewöhnliche! Sehen Sie, mein Herr! Am Ende jedes Lebens steht der Tod. Wir wissen es alle. Und wer denkt an ihn?«

So spricht der Gastwirt Nathan Kristianpoller zu den Gästen, die ihm sympathisch sind. – Er ist ein kluger Mann.

[Joseph Roth, Tarabas, ein Gast auf dieser Erde, Querido, Amsterdam 1934]