[Genosse R. zu Friedrich Kargan (aka Leo Trotzki) in Joseph Roth, Der stumme Prophet, Frankfurt, 1929]

»Ich bin ein Armer«, sagte er einmal zu R., »auf der Seite der Armen. Die Welt ist nicht gut zu mir, ich will nicht gut zu ihr sein. Ihre Ungerechtigkeit ist groß. Ich leide unter ihrer Ungerechtigkeit. Die Willkür tut mir weh. Ich will den Mächtigen weh tun.«

»Wenn ich gerecht sein wollte, wie z. B. Savelli«, antwortete R., »würde ich Ihnen sagen, daß ihr Platz unter den heiligen der katholischen Kirche ist und nicht unter den anonymen Helden der Partei. Ich habe mit T. über Sie gesprochen. Wir sind uns einig darüber geworden, was Sie im strikten Sinne des Wortes unzuverlässig sind. Wenn Sie persönlich enttäuscht sind, möchten sie die Minister aufhängen. Sie gehören zu den unsterblichen europäischen Intellektuellen. Augenblicklich haben Sie ein Herz für das Proletariat, mit dem Sie verkehren. Aber warten Sie, Sie werden in den traurigen Augen der jungen Männer, vor denen Sie jetzt Vorträge halten, eines Tages den blanken Haß der menschlichen Kanaille sehen. Haben Sie schon daran gedacht? Sooft mir ein Arbeiter die Hand gibt, fällt mir ein, daß seine Hand mich einmal unbarmherzig schlagen könnte wie die Hand eines jeden Polizisten. Ihre Methode ist falsch, es ist meine eigene auch, deshalb darf ich es Ihnen sagen, und deshalb dürfen Sie es mir glauben. Uns würde die Erkenntnis mehr nützen, daß die Armen nicht besser sind als die Reichen, die Schwachen nicht edler als die Starken und daß im Gegenteil erst die Macht die Vorraussetzung einer Güte sein könnte.«