Der Rechtsstaat verfügt zwar über die Möglichkeit einer Gewaltanwendung, die bei Verletzung der Rechtsordnung aktiviert wird. Sie bedeutet jedoch nicht, dass der Rechtsstaat auf der Gewalt oder auf einer anderen negativen Sanktion beruht. Das Schielen auf die mögliche Verhängung der negativen Sanktion oder auf einer möglichen Gewaltanwendung ist keine Bedingung fürs positive Machtgeschehen. Man vermeidet Verbrechen in erster Linie nicht aus Furcht vor der Strafe, sondern aus Anerkennung der Rechtsordnung, d.h. aus dem Grund, dass das Recht mein Wille, mein eigenstes Tun, meine Freiheit ist. Hinter dem Gesetz steht gewiss das Schwert¹⁶. Aber es beruht nicht auf ihm. Und wer nur kraft negativer Sanktion seine Entscheidung durchzusetzen vermag, hat wenig Macht. Daß eine Organisation über wenig Sanktionsformen verfügt, sagt nichts darüber, wieviel Macht sie besitzt. Machtlogisch ist eine mächtige Organisation denkbar, die aber keine einzige negative Sanktion kennt. Die Bindung der Macht an die negative Sanktion nimmt auch Luhmann die Sensibilität für die Möglichkeit einer freien Macht. [Byung-Chul Han, Was ist Macht?, Reclam, Stuttgart 2005, S. 25]